Bericht zur Tour'14

 

Rheinaufwärts - Eine Abenteuerfahrt mit zunächst mehr Bereicherung an Lebenserfahrung als landschaftlichen Highlights.

 

 

Allein das Packen war ein Highlight dieser Tour! Ich hatte absolut keine Vorstellung wie die richtige Kleidungsauswahl für eine Fahrradtour aussehen sollte. Sportshirts? Fehlanzeige! Ich nahm einfach meine stinknormalen Baumwoll-Alltagshirts mit. Radlerhosen? Nein, dafür langten doch die Sportshorts. Und an Regen wurde erst gar nicht gedacht, eine Regenjacke wird schon reichen. Somit wurde alles gnadenlos eingepackt, unabhängig von Größe und Gewicht, und davon auch noch viel zu viel. Zur Verfügung standen zwei Satteltaschen und ein Rucksack. Nahrungsmittel und Klamotten kamen in die Taschen. Zelt, Luftmatratze und Schlafsack wurden zusammengebunden und auf den Gepäckträger gespannt. So ging es total überladen, mit einem zu schweren Trekkingrad, auf die Tour.

 

Die ersten Kilometer waren geschafft und die Sonne lachte, es war ein wunderschöner Tag. Die Fahrradwege am Rhein sind in der Regel stets gut ausgebaut und beschildert. Nur nach wenigen Kilometern gab es schon die erste Umleitung wegen Bauarbeiten. Der Zustand scheint hier auch nicht besser zu sein als auf der Autobahn: Baustelle um Baustelle. Zumindest hatte man hier befestigten Untergrund unter sich, das sich auf der Strecke durchaus noch ändern sollte, was sich daran bemerkbar machte, dass die Wege zu Schotter-/ Schlammwegen wurden. Bei Regen machte das besonders viel Spaß, denn Steckenbleiben, war stets eine große Gefahr. Ein Glück passierte mir das nicht, nur Kraft kostete es mich umso mehr auf solch einem Untergrund zu radeln.

 

Das Hauptproblem auf einer Fahrradtour als Frau ist jedoch ein anderes: Pinkeln! Ich habe kein Problem damit mich in der Natur zu entledigen, jedoch macht man generell dort Pause, wo es am Schönsten ist. An diesen Stellen ist man aber auch nie allein. Somit ging man immer ein gewisses Risiko ein, wenn man sich in einen Busch verkroch. Auf der Donaufahrradtour sollte ich dabei noch erwischt werden. Die Erwischer traf ich später am Tage wieder, wir sind sogar noch etwas trinken gegangen. Sehr lustig, aber eine andere Story. Jedenfalls ist es sehr amüsant, die Blicke der alten Rentner, welche ihr „Sonntagsfahrrad“ spazieren fahren, zu deuten, wenn sie eine junge Frau aus einen Busch herauskrabbeln sehen. Unbezahlbar!

 

So ging es nach der ersten Erleichterung fröhlich in der prallen Sonne weiter. Noch merkte ich das Gewicht nicht, alles fühlte sich leicht an, ich machte am ersten Tag schlappe 120 km und sagte zu mir selbst: “Jau, das wird ja ein Klacks!“.

 

Zum Abendbrot gab es Ravioli aus der Dose, nur hatte ich keinen Dosenöffner. Zum Glück hatte ich aber eine mit Selbstöffnungshaken in der Hand und konnte nun meine schwer mitgeschleppten und kalten Ravioli aus der Dose genießen. Zu dem Zeitpunkt kam ich noch nicht auf die Idee einen Gaskocher mitzunehmen um mein Essen abends selbst zuzubereiten, was mir das Mitschleppen von schweren Fertiggerichten erspart hätte.

 

Mein 25 Euro Zelt war auch schnell aufgebaut, die selbstaufblasbare Luftmatratze machte auch keine Faxen, so dass die erste Nacht recht angenehm war.

 

Die ersten Tage waren echt traumhaft schön, teilweise zu warm. Mit strahlenden Sonnenschein ging es über die Deiche weiter Richtung Basel. Die Landschaft veränderte sich so gut wie gar nicht, das war schon etwas öde, ständig scheinbar unendlich lange Wege zu folgen. Rechts und links vom Sichtwinkel gab es auch immer nur dasselbe zu sehen: Felder und den Rhein. Somit versüßte ich mir den Tag auf den Fahrrad mit guter Musik und trallerte ordentlich mit, in der Hoffnung, dass mich keiner hören würde. Auch das Luftschlagzeug ist ein probates Mittel zur Vertreibung langweiliger, sich ziehender Kilometer geworden.

 

Teil zwei der besser zu durchdenkenden Dinge auf einer Fahrradtour: Essen! Trinken ist definitiv das Wichtigere, aber ein paar Snacks für unterwegs für eine schöne Pause sind auch nicht zu unterschätzen. Vor allem griff ich am Anfang des Öfteren zu den falschen Häppchen in der Mittagssonne, welche mir logischerweise den Magen sehr beschwerten und mich müde machten.

 

Beispielsweise hielt ich an den ersten Tagen regelmäßig an Imbissständen an, um schnell und bequem etwas zu essen. Der Anblick der Menschen in Fast Food Läden ist jedoch genial: Man geht total verschwitzt, in meinem Fall in nicht professionellen Sportsachen, in den Laden um nur ein paar Burger zu bestellen, wird jedoch immer wieder mit entsetzten Blicken betrachtet. Der Umstieg auf Supermärkte und somit auf deutlich verdaulicheres bzw. gesünderes Essen, bescherte mir eine angenehmere Mittagspause. Auch wenn die entsetzten Blicke nicht ausblieben.

 

Aufgrund des konstanten Landschaftsbild stieg meine Unzufriedenheit mit der Dauer des Trips an. Das schwer beladene Fahrrad sollte mir nun auch meine körperlichen Grenzen aufzeigen. Zum einen wurde es immer anstrengender selbst kleine Steigungen oder den stetigen Gegenwind zu überwinden. Auch das Halten eines gewissen Tempos wurde immer mehr zu einem Kraftakt. Zum anderen war es jeden Morgen eine Überwindung alle Sachen zusammenzupacken und auf das Fahrrad zu schnallen. Die ersten Kilometer waren sehr schmerzhaft, aber auch die schönsten: Morgens auf dem Fahrrad warm werden, um den Rhythmus finden, war sehr krampfhaft, jedoch war die Morgenluft und der Sonnenaufgang immer das Schönste am Tag. Eins führte zum anderen und ich befand mich schließlich in der ersten Abwärtsspirale, die immer weiter in die innerliche Unzufriedenheit führte.

 

Zu diesem Zeitpunkt war ich heilfroh eine Gruppe aus Radlern in meinem Alter zu treffen, die mir eine gute Ablenkung bescherten. Sie schlugen meinen Weg ein, sodass ich mich ein paar Tage an sie hing. Ich staunte nicht schlecht über aufgemotzte Mountainbikes mit Gepäckträger. Das sah so bequem und cool aus. Ich hingegen kam mir vor wie eine Person aus der Vergangenheit, die der Zeit um mindestens 100 Jahre hinterherhinkt.

 

Den letzten Abend verbrachten wir zusammen in Straßburg. Ein schöner Campingplatz direkt am Rhein gelegen. Die Nacht sollte jedoch alles andere als schön werden. Mein 25 Euro Zelt gab bei dem Unwetter, das die Nacht über uns zog, seinen Geist auf. Nicht nur die hohen Wassermengen brachten das Zelt an sein Limit der Dichtheit, sondern auch der Reißverschluss des Eingangs versagte. Somit ließ sich das Zelt nicht vollkommen verschließen und ein Teil des Zeltes faltete sich nach innen ein. Über diesen Weg floss Wasser direkt in das Zelt und auf meinen Schlafsack. Das brachte mich in Aufruhr: Zuerst versuchte ich den Reißverschluss zu reparieren, danach einen Weg das herunterlaufende Wasser außen so umzuleiten, dass es nicht hineinfloss. Für diese Variante hätte ich allerdings die ganze Zeit den Reißverschluss in einer bestimmten Position halten müssen. Das war nicht optimal. Somit überlegte ich mir, dass durch richtiges Spannen des Zeltes, das Wasser ferngehalten werden könnte. Letztendlich schlüpfte ich nach reichlicher Überlegung um 3 Uhr nachts aus dem Schlafsack, rannte auf dem total überfluteten Rasen draußen im prasselnden Regen um das Zelt herum, um die optimale Spannung der Leinen zu erproben. Schlussendlich war die erfolgreichste Lösung eine Kombination aus allen Varianten. Es verhinderte jedoch nicht, dass mein halbes Zelt innen unter Wasser stand. Die Hälfte des Zeltes, welche meine Luftmatratze bedeckte stand mehr unter Wasser als jene mit meinen Klamotten. Ein Glück, so verhinderte meine Luftmatratze, dass alles nass geworden wäre.

 

Meine erste Schlussfolgerung für kommende Fahrradtouren konnte ich allerdings daraus ziehen: Ein billiges Zelt versagt nach nicht mal einer Woche Fahrradtour.

 

Der Rhein als ständiger Begleiter

 

Die zweite wichtige Lektion sollte paar Tage später folgen. Auch eine selbstaufblasbare Luftmatratze kann Löcher bekommen. Vor allem dann, wenn man sie ungeschützt auf den Gepäckträger festgurtet.

 

Aber dazu später, zunächst ging es erst einmal weiter den Rhein entlang. Allein. An Feldern vorbei, mit wenig Schlaf. Ich war kaputt und gestresst. Meine Laune sank weiter in den Keller. Die nervigen Kilometer bis in die Alpen, in denen es sicher schöner werden würde, galt es jetzt zu überwinden. Ich redete mir alles schön, biss mich durch. Als es jedoch besser zu werden schien, kam der Gegenwind: ein nicht aufhörender Gegenwind. Ich fuhr mit gefühltem Schritttempo auf dem Deich entlang und blickte den Fluss entlang mit Aussichten auf nichts. Es war so öde. Es half alles nichts, ich musste weiter strampeln. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es noch schlimmer werden könnte, doch nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt. Vom schlechten Wetter wurde ich verschont, allerdings nicht von Schmerzen. Meine Achillessehne schmerzte arg, ich konnte teilweise nur ein Bein belasten, auch mein Knie muckte punktuell auf. Sich in Schmerzen hinein zu kämpfen ist nicht einfach, aber jeder handhabt es anders. Es war hier abzuschätzen, ob es so ernst ist, dass die Tour abgebrochen werden muss oder ob es nur ein temporärer Zustand ist. Ich tippte auf letzteres und fuhr mir den Schmerz in den kommenden Tagen raus.

 

Schließlich überwand ich all die Strapazen und erreichte den Grenzübergang zur Schweiz. Basel war definitiv wunderschön zu durchqueren, mich beeindruckte die schöne Stadt am Rhein, vor allem freute ich mich aber über die öffentlichen Toiletten. Innerlich entspannte ich, die Landschaft fing nun an sich zu ändern, endlich radelt ich ins schöne Alpenland. Berglandschaften sind immer schön: die Täler, die Klippen, der Verlauf des Flusses. Es wurde nun abwechslungsreicher. Freud und Leid sind allerdings oft dicht beieinander: Die Aussicht wird schöner, der Aufwand jedoch größer. Die ersten richtigen Steigungen sollten mir aufzeigen, wie sehr das Gewicht an einem beladenen Fahrrad eine Rolle spielt. Wenn man beim Bergauf fahren den Lenker soweit nach hinten reißt, um Schwung zu holen, dass das Fahrrad nach hinten überkippt, so weiß man mit Sicherheit, dass der Schwerpunkt definitiv zu weit hinten am Fahrrad liegt. Passiert ist bei dem Manöver ein Glück nichts, außer dass ich an einem Hang stand mit einem vollbeladenen Fahrrad zwischen den Beinen. Jetzt aufs Fahrrad setzten und versuchen im ersten Gang noch den Berg hinauf zu kommen. Unmöglich! An dieser Stelle die Kette jetzt Bewegung setzen zu wollen, hätte die Belastung auf die einzelne Bauteile maximiert und unglaublichen Schaden anrichten können. Dementsprechend blieb mir nichts anderes übrig als das Fahrrad den Berg hinauf zu schieben.

 

 

 

Die täglichen Strecken wurden schöner, das Wetter schlug ein wenig um, die Nächte wurden härter und das im wahrsten Sinne des Wortes

 

Je näher ich dem Bodensee kam, desto mehr zogen Wolken am Himmel auf. Zwischen Basel und dem Bodensee war die Wettervorhersage tatsächlich so schlecht, dass mir nichts anderes übrig blieb einen Tag Pause zu machen, um die Regenwand vorbeiziehen zu lassen. So endete ich auf einem Campingplatz, der in einem Freibad gelegen war. Der Bademeister war selbst ein Camper. Die kommende Regenfront bereitete mir große Sorgen, ich konnte es mir nicht leisten den ganzen Tag bei Temperaturen, um die 16 Grad in einem nassen Zelt zu hocken. So entschloss ich mich dazu, das Zelt unter einem Baum aufzubauen. Ich erhoffte mir dadurch einen natürlichen Regenschutz. Der Plan war über den größten Zeitraum hinweg wasserdicht.

 

Schmutzige Wäsche waschen und trocknen?! Waschen ist absolut kein Problem bei einer Waschmaschine, welche auch zum Glück vor Ort war. Trocknen von Baumwollkleidung stellt hingegen an einem regnerischen Tag, ohne Trockenraum, ein größeres Problem dar. Eine Wäscheleine zwischen meinem Zelt und dem Baum sorgte für etwas Abhilfe, jedoch nur dann wenn es auch wirklich nicht gerade regnete. Somit war ein penibles Beobachten der Wäscheleine nötig.

 

In der Zwischenzeit war ich sehr froh darüber, dass ich auf meinem Laptop Filme schauen konnte. Ja genau, ich schleppte sogar meinen Laptop mit, für den Fall der Fälle, der nun eintrat. Allerdings sollte ich nie wieder auf die Idee kommen einen Laptop mitzunehmen. Nun saß ich also in dem Wäscheraum und machte es mir dort mit Laptop und sehr viel Essen gemütlich. Dort war der einzige Ort, an dem es nicht nass war und man halbwegs aufrecht sitzen konnte. Warm war es allerdings nicht, es hörte nicht auf zu regnen und zu stürmen. Letztendlich konnte ich es mir nicht vorstellen, noch einen Tag dort zu verbringen, also fuhr ich am nächsten Tag, auch bei schlechtem Wetter, weiter.

 

Bei wechselhaften, teils stark bewölktem Wetter erreichte ich schließlich die Rheinfälle: Ein Genuss für die Augen, jedoch auch sehr touristisch. Der Touriverkehr begleitet mich noch bis zum Bodensee. Bei sonnigen Wetter ist dieser ein echt schönes Erholungsgebiet. Teilweise ließ sich die Sonne blicken und bescherte mir wunderschöne Bilder und Eindrücke, jedoch verfolgte mich der Regen fortan bis ins Allgäu. Als wäre dem nicht schon schlimm genug gewesen mit einem undichten Zelt durch regnerische Zeiten zu kommen, sollte mich das Pech für härtere Nächte auch noch verfolgen. Die Luftmatratze hatte Löcher. Jegliches Flickzeug hatte ich natürlich nicht griffbereit. Es blieb mir nichts anderes übrig als in meinem halbnassen Zelt, in meinem feuchten Schlafsack auf dem Boden zu schlafen. Der Gedanke ans Aufgeben durchkreuzte meine Gedanken nie ernsthaft, ich wollte unbedingt nach Italien. Der Wille das zu schaffen war größer als all das Leid.

 

Durch die ganzen Umstände konnte ich das Allgäu leider nicht so sehr genießen, wie ich es gern getan hätte. Die Landschaft hatte einiges zu bieten, vor allem das hüglige Gelände mit den Aussichten in die Weiten des Landes, waren atemberaubend. Schlussendlich war ich jedoch sehr froh endlich Füssen zu erreichen. Dort durfte ich für ein paar bei dem Bruder einer Freundin unterkommen und das obwohl man sich nicht kannte. Ich war einfach nur überglücklich in festen vier Wänden mit einem Dach über den Kopf auf einer Couch liegen zu können. Diese Gastfreundlichkeit schätzte ich sehr. Zu dem bekam ich noch etwas Zeit und Material meine Luftmatratze zu flicken. Auch das Zelt und den Schlafsack konnte ich trocknen. Ich bin immer noch unfassbar dankbar für die Bereitschaft mich einfach aufzunehmen, dabei war mein Verhalten alles andere als höflich: Außer Schlafen war bei mir absolut nichts anderes möglich.

 

 

 

Über die Alpen in den wohlverdienten Sommerurlaub – Sommer = Sonne?!

 

 

Vor Beginn der Reise hatte ich grob in einem Buch für die Fernradwege meinen Weg ausgekundschaftet. Genauer gesagt, habe ich mir die Strecke mit den wenigsten Höhenmetern rausgesucht, dem dann die Idee entsprang am Rhein entlang zu fahren und nicht querfeldein von Mainz nach Italien. Ganz blind bin ich demnach nicht losgeradelt. Allerdings sollte nun der härteste Teil der Fahrradtour mir bevorstehen, wenn es darum ging Höhenmeter zu bewältigen. Mir graulte es schon davor, denn ich war einfach jetzt schon so kaputt, dass ich ein paar Wochen Wellness gut vertragen könnte. Ich träumte schon regelrecht davon am Gardasee in der Sonne zu liegen um einfach nur zu relaxen.

 

Bevor der Traum in Erfüllung gehen konnte, musste ich allerdings noch 2 Pässe überqueren. Einen würde ich schaffen, bei dem anderen musste ich kapitulieren, ich kippte fast vom Rad.

 

Den Fernpass gepackt zu haben, ist immer noch ein schönes Gefühl, denn Pässe sind so ganz anders als das ständig, kurzzeitige auf und ab fahren im Allgäu. Das Hineinkämpfen in die stetige Steigung des Berges ist auf den ersten Blick sehr qualvoll, jedoch ergibt sich das mit der Zeit, wenn man immer weiter tritt. Man kommt gewissermaßen in einen Rhythmus, dem man gut standhalten kann. Zu dem ist das eine ganz andere mentale Belastung. Bei einem schnellen Wechsel zwischen Bergauf- und Berabfahrten bin ich schneller frustrierter als über längere Zeit einen Berg zu erklimmen, da man beim ersteren Fall sofort seinen Erfolg gewissermaßen wieder verliert.

 

Den Fernpass musste ich glücklicherweise nicht alleine erklimmen. Kurz vor dem Aufstieg traf ich auf eine weitere Radlerin. Somit machten wir uns zusammen an den Aufstieg des Berges, getreu nach dem Motto: geteiltes Leid, ist halbes Leid. Die Ablenkung durch die Unterhaltung tat mir nicht nur gut, sondern brachte mir auch einiges an guten Tipps für die Zukunft. Sie war nämlich schon des öfteren auf Fahrradtouren und konnte mir nicht nur Ratschläge hinsichtlich Camping- und Fahrradausrüstung geben, sondern auch bezüglich guter Fahrradtouren und das allgemeine Leben eines Fernradlers.

 

Jedoch folgte nach dem tiefen Siegesschrei am Berggipfel, mein persönliches Highlight der gesamten Tour: Die Abfahrt vom Fernpass, die eigentlich eher für Mountainbiker ausgelegt ist! Aber die war genial. Ich wünschte mir nun ein Mountainbike zu besitzen, wie meine Begleiter am Rhein, um dort im Volltempo hinunter düsen zu können. Allerdings besaß ich keines, bildete mir es mir aber irgendwie ein und sauste ihn Gedanken an mein schweres Gepäck hinunter. Die Abfahrt ist jedem zu empfehlen, es macht einfach einen riesigen Spaß, die schmalen Wege mit teils steinigen Untergrund mal vorsichtig, mal schnell zu bewältigen. Reines Fahrvergnügen, bei hoher Konzentration und optimalem Fahrradhandling.

 

Beim Reschenpass musste ich leider passen, jedoch soll der Aufstieg auch nicht so schön abgelegen sein wie beim Fernpass. Somit war ich recht froh im Bus die Serpentinen hinauffahren zu können, obwohl der Schritt schon massiv an meinem Ego gekratzt hat.

 

Die Nacht oben auf über 1300 m war überaus kalt. Ich verbrachte den Abend im Sanitärgebäude, welches ein Gästeraum beinhaltete. Die Nacht im Zelt wurde noch aus dem Grunde verschlimmert, dass das Flicken der Luftmatratze absolut nichts bewirkt hat. Grund dafür waren nicht die kleinen Löcher, sondern das Ventil, welches undicht war. Ich schlief somit weiterhin auf dem Boden. Am nächsten Morgen erwachte ich mal wieder mit Schmerzen vom Liegen auf dem Boden, jedoch dieses Mal auch mit einem guten Gefühl, denn ab jetzt kann es ja nur noch besser werden: Es geht nur noch bergab zum Gardasee, nach Italien, also in die Sonne!

 

Das sind zwei Vorstellungen wie man sie erwartet, aber das was man erwartet, tritt in den häufigsten Fällen eher nicht ein. So auch diese Zwei. Zunächst einmal umfuhr ich bei trüb und bedeckten Wetter den Reschensee. Dieser ist bekannt für seine Kirchturmspitze, die aus dem Stausee herausragt. Nach der Dämmung des Flusses, wurde das anliegende Dorf evakuiert, jedoch ragt bis heute von dem alten Dorf aus dem aufgestauten See die Kirchturmspitze heraus. Dieser Anblick ist für mich persönlich sowohl interessant und einmalig schön als auch sehr schaurig. Anschließend ging es nicht nur steil bergab, sondern sehr steil bergab ins Vinschgautal. Bei aufklarenden Wetter testete ich die Funktion meiner Felgenbremse gut aus. Zwischenzeitlich hoffte ich nur darauf, dass sie mir nicht komplett wegschmelzen würden. Auch dem Verkehrsministerium Südtirols war diese Lage sehr gut bekannt und stellte Schilder für ein Tempolimit auf. Dies zu halten erschien mir teilweise als recht unmöglich.

 

Die Hoffnung und Erleichterung auf bessere Tage stiegen bei der Abfahrt, die Freude überkam mich regelrecht. Vor allem bei dem Anblick in das Tal, in die wunderschöne Natur. Anhalten sollte jene jedoch nicht lange, denn der Wind kam auf und bescherte mir einen ordentlichen Gegenwind. Teilweise war dieser so stark, dass der Wind das Gefälle ausglich und ich wieder gegen den Wind antreten musste. Das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Normalerweise ist es möglich entspannt vom Reschenpass zum Gardasee zu fahren, da immer ein leichtes Gefälle vorhanden ist. Nach Bozen ist das Gefälle nicht mehr so stark, dass man es unbedingt merkt, aber dennoch vorhanden. Nun musste ich wieder strampeln und konnte weniger die schöne Landschaft genießen. Das sehr gute Wetter ließ auch auf sich warten, es wurde immer wechselhafter.

 

Zu allem Übel kam noch hinzu, dass kein Campingplatz mehr vor dem Gardasee auf der Strecke lag. Ich suchte verzweifelt den ganzen Tag nach einer Unterkunft, konnte nur nichts finden, was ich mir leisten konnte. Wilde Fantasien durchkreuzten meinen Kopf. Ich stellte mir vor unter der nächsten Brücke schlafen zu müssen. Heutzutage würde mir das weniger Angst einjagen, damals war ich jedoch ganz schön aufgelöst und sehr verzweifelt. In einem fremden Land, irgendwo hinter einer Ecke schlafen zu müssen, war keine angenehme Vorstellung. Somit folgte ich am Ende des Tages im nächsten Dorf ein Bed&Breakfast Schild und fuhr ein paar Kilometer durch ein Industriegebiet. Schließlich fuhr ich an Weinanbaugebieten vorbei, um zu einem abgelegenen Haus außerhalb des Dorfes zu gelangen. Ich haderte kurz mit mir dort zu klingeln, doch schon bald sollte mich der Besitzer ansprechen, der Arbeiten im Garten erledigte. Er sprach nur Italienisch, kein Englisch. Ich hingegen konnte absolut kein Wort Italienisch. Die Verständigung war schwer, klappte aber überraschender Weise sehr gut. Er bot mir ein Zimmer an, das mir allerdings zu teuer war. Ich hatte nicht mehr viel Bargeld dabei, so dass ich nachfragte, ob ich nicht in seinem Vorgarten zelten könne. Er willigte ein und ließ mich für wenig Geld inklusive Frühstück in seinem Garten zelten. Das war Glück im Unglück: Nach einer scheinbar unlösbaren Suche nach einer Unterkunft, findet man plötzlich spontan die goldene Nadel im Heuhaufen. Der Mann war überaus gastfreundlich: Am Abend saßen wir noch mit einem Bekannten von ihm in der Küche und haben selbstgebrannten Schnaps getrunken. Die Unterhaltung war sehr spannend und lustig, obwohl man sich im Grunde ja nicht unterhalten konnte. Aber die Zeichensprache ist eben nicht zu unterschätzen.

 

Der weitere Weg zum Gardasee war dann noch relativ gut noch zu bewältigen, auch wenn ich nochmal gute eine Steigung vor mir hatte, die mir alles abverlangte, war ich nur noch stolz auf mich und meine Leistung. Als ich am Ende des letzten Tages den Ausblick auf den Gardasee mit seiner westlichen Steilwand vor mir hatte, brach in mir eine Lawine der Glücksgefühle los. Ein unbeschreibliches Gefühl!